Newsletter 04. April 2024
verfasst von Hartwig Thomas

Newsletter online: https://www.publicdomainpool.org/repository/newsletter/24-NL0003Z.html

Laufend kommen neue digitalisierte Tonspuren von Schellackplatten in das Archiv der Schweizerischen Stiftung Public Domain. Diejenigen, die uns irgendwie interessant vorkommen, werden jeweils in unregelmässigen Abständen in einem Newsletter zusammengestellt.

Diesmal stellen wir ein buntes Sammelsurium aus klassischer Musik, Marschmusik, deutscher Unterhaltungsmusik und einigen Spezialitäten vor. Da wir eine grosse Kollektion von Einspielungen des Tenors Joseph Schmidt von Alfred Fassbind erhalten haben, sind berühmte Tenöre diesmal ein Schwerpunktthema.

Unsere Website (https://www.publicdomainpool.org/) enthält nähere Erklärungen zum Stand unserer Arbeiten.

ENGLISH SUMMARY

This newsletter documents the progress in establishing an inventory of the archive of shellac records of the Swiss Foundation Public Domain. The records mentioned below can be accessed through the following playlists:

Classical Music, Opera, Operetta
Female Voices
Male Voices
Joseph Schmidt: Opera
Joseph Schmidt: Operetta
Joseph Schmidt: Film Songs
Joseph Schmidt: Canzoni
Herbert Ernst Groh
German Folk Songs
Ländler
German Popular Songs
Lazar Pugatsch
Marches
B2B Music
Miscellaneous

Albums:
Joseph Haydn Trio for Piano, Violin and 'Cello in C Major, No. 3 played by Lili Kraus (Pianoforte), Simon Goldberg (Violin), Anthony Pini ('Cello)
Felix Mendelssohn Concerto in E Minor - Op. 65 played by Fritz Kreisler conducted by Leo Blech

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Schenkungen

Wir haben kürzlich zwei Plattensammlungen erhalten von Alfred Fassbind und Christoph Zimmermann. Die Schenkung von Alfred Fassbind enthielt viele Aufnahmen des Tenors Joseph Schmidt, diejenige von Christoph Zimmermann besteht aus einigen sehr populären Platten. Ausserdem durften wir die Aufnahme der Bernina-Platte in unser digitales Archiv aufnehmen.

Wir danken den Musikspendern!

Klassische Musik

Alben

Joseph Haydn Trio for Piano, Violin and 'Cello in C Major, No. 3 played by Lili Kraus (Pianoforte), Simon Goldberg (Violin), Anthony Pini ('Cello)
Felix Mendelssohn Concerto in E Minor - Op. 65 played by Fritz Kreisler conducted by Leo Blech

Instrumentalmusik, Opern, Operetten

Frauenstimmen

Marta Eggerth
Marta Eggerth

Die gesungenen Strauss-Walzer entwickelten sich zu wahren Bravour-Exerzitien für Sopran-Stimmen. Hier der Blue Danube Waltz Song und der Voices of Spring Waltz Song gesungen von Marta Eggerth.

Männerstimmen

Neben anderen Italienern singt der Tenor Leone Escalaïs hier seinen Ostergruss Osanna.

Joseph Schmidt

Joseph Schmidt
Joseph Schmidt

Über den jüdischen Tenor Joseph Schmidt ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Er wurde zum Weltstar und starb vor etwas mehr als 50 Jahren einen jämmerlichen Tod in einem Flüchtlingslager in Girenbad bei Hinwil. Alfred Fassbind hat eine sehr lesenswerte Biographie dieses Sängers geschrieben, die inzwischen in dritter erweiterter Auflage als preiswerte Broschur erschienen ist. Eine fiktionale Darstellung des Lebens von Joseph Schmidt "Der Sänger" von Lukas Hartmann stiess nicht auf ungeteilte Zustimmung. Alfred Fassbind ist auch Kurator des Joseph Schmidt Archivs und ein Unterstützer unseres Schellackplatten-Archivs. Er hat uns viele Platten mit Aufnahmen von Joseph Schmidt geschenkt. Wir haben sie digitalisiert und hier in vier Playlists zusammengestellt:

Wer nachvollziehen will, wie komplex die politische Situation für Unterhaltungsmusiker zur Nazi-Zeit war, braucht nur die Autoren, Dirigenten und Filmstudios zu googeln, die auf diesen Platten aufgeführt sind.

Nationalscham und Nationalstolz

Zur Nationalscham eignet sich das elende Ende von Joseph Schmidt nicht. Sicher hatten die Ärzte des Universitätsspitals Zürich, die ihn als Simulanten ins Lager zurückschickten, die Lagerleitung, die Beamten und Politiker, welche die menschenverachtenden Strukturen dieser Lager schufen, und schliesslich die Bevölkerung der direktdemokratischen Schweiz, welche solche Strukturen zuliess, einen grösseren oder kleineren Anlass zu Scham. Die heutigen Schweizer hatten als Spätgeborene keinerlei Einfluss auf diese Geschehnisse und brauchen sich deshalb nicht kollektiv dafür zu schämen. Auch ein Nationalstolz, dass von der kleinen Schweiz immerhin mehr Flüchtlinge vor der Ermordung geschützt wurden als von den grossen USA, ist völlig deplaziert. Eine moralische Verwerflichkeit kann man nicht dadurch rechtfertigen, dass Andere noch schlimmer gehandelt haben.

Der Nationalstolz oder die Scham eines Fussballfans für den Sieg oder die Niederlage seiner Nationalmannschaft ist ähnlich deplaziert. Denn er hat nichts Entscheidendes zum Ausgang des Spiels beigetragen, ausser dem Besprayen der Hauswand eines Fans der gegenerischen Mannschaft mit "Wir fiken deine Muter".

In den letzten vier Jahren sind einige Menschen in Heimen elend und einsam gestorben, weil der Medizin verboten war, sie angemessen zu behandeln, und Politik und Gesellschaft sie in ihren Zimmern isolierte. Das wäre ein gültiger Anlass für Scham für alle Beteiligten und für die Befürworter eines menschenverachtenden Covid-Gesetzes, das in der direkt-demokratischen Schweiz von einer Mehrheit der Stimmbürger befürwortet wurde. Das gegenteilige Abstimmungsresultat wäre ein gültiger Anlass für Nationalstolz gewesen und hätte als leuchtendes Beispiel bis in andere repressive Staaten ausgetrahlt. Dass "wir" - angeblich! - "besser" durch die Zeit der Epidemie-Angst gekommen sind, kann kein Anlass für Nationalstolz sein.

Herbert Ernst Groh

Herbert Ernst Groh
Herbert Ernst Groh

Der Tenor Herbert Ernst Groh war ein in Luzern geborener Schweizer und überzeugter Nationalsozialist. Hitler und Goebbels und die ganze Nazi-Führungsriege lobten seinen Gesang. Aber auch er ist kein geeignetes Objekt für Nationalscham der Schweizer. Man sieht auf den Schallplatten seiner Aufnahmen oft dieselben Begleitorchester und Autorennamen wie beim Juden Joseph Schmidt. Unmittelbar nach dem Krieg unternahm der entschiedene Nazigegner Robert Stolz grosse Tourneen mit Groh. Offenbar wurde dieser von Stolz nicht für einen menschenverachtenden Nazi gehalten. Weil er auf der "Gottbegnadeten-Liste" von Goebbels figuriert, ist sein Wikipedia-Eintrag sehr kurz, politisch einseitig und lückenhaft. (Listen sind ein sehr bequemes Instrument zur Einteilung von Menschen.)

Die Playlist seiner Aufnahmen ist ein Querschnitt durch populäre Unterhaltungsmusik der Nazi-Zeit. Diese lohnt das Studium auch für politische Gegner der Nazis, so wie Klaus Theweleit in seinen "Männerphantasien" die populäre Nazi-Literatur studierte.

Deutschsprachige Unterhaltungsmusik

Auch unter dieser Rubrik kommen einige Stücke vor, welche zur Nazi-Zeit entstanden und beliebt waren.

Die Volksmusik und Volkslieder sind vermutlich mehrheitlich älter.

Die Schweizer Ländler dokumentieren höchsten einen gewissen nationalen Widerstand. Interessant ist hier ein veritabler Scat-Gesang, der auch Jazzmusikern hätte gefallen können.

Urs Marti hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Label EPA CORD (z.B. bei Heiri in Hollywood) von der EPA, der Schweizer Einheitspreis AG, geschaffen wurde, an welche sich die Älteren unter den Lesern noch erinnern werden.

Zu den deutschsprachigen Schlagern gehören neben Liedern von Zarah Leander und Lale Andersen auch Schweizer Songs. Als einer der weniger bekannten Songwriter fällt hier Lazar Pugatsch auf, den man in der Wikipedia vergeblich sucht. In der "Geschichte der Juden im Kanton Zürich" von Annette Brunschwig, Ruth Heinrichs und Karin Huser wird er als Songwriter erwähnt.

Eine weitere, im damaligen Zürich bekannte Musikgrösse war Lazar Pugatsch, der Mitbegründer des «Ersten Jüdischen Kinderorchester-Vereins». Er komponierte unter seinem Namen sowie unter dem Künstlernamen «Etter» über 120 volkstümliche Schlager, die im Schweizer Radio und bei lokalen Veranstaltungen zu hören waren.
Er war Mitglied im jüdischen Kulturverein Omanut, dem auch Max Lichtegg angehörte. Letzterer ist in unserem Archiv mit vielen Aufnahmen vertreten. Alfred Fassbind hat auch über Max Lichtegg eine lesenswerte Biographie verfasst.

Marschmusik

Wenn es keine Salons mehr gibt, ist das Ende der Salon-Musik nicht mehr weit. Leider wird immer noch auf brutalste Art Krieg geführt, aber dabei wird kaum mehr marschiert. So kennen wir Marschmusik höchstens noch von Empfängen hoher Politiker.

Der Name des Komponisten der Königgrätzer Marschs wird allerdings noch heute in Österreich für Deutsche, besonders für als "Preussen" identifizerte Norddeutsche verwendet. Im Wikipedia-Eintrag zu dieser Bezeichnung habe ich dazu ein mir neues Wort gefunden:

Das Wort Piefke ist in Österreich (dort Plural die Piefke statt die Piefkes), Südtirol und Oberbayern ein Ethnophaulismus, also eine umgangssprachlich verwendete, meist abwertend gemeinte Bezeichnung für Deutsche mit entsprechender Sprachfärbung.

Das ist eventuell darauf zurückzuführen, dass die Preussen die Österreicher in der Schlacht bei Königgrätz besiegt haben. (Das erklärt aber nicht, wie der Dackel von Pünktchen in Kästners "Pünktchen und Anton" zu diesem Namen kam ...)

B2B-Musik

Wer heute ein Startup gründet, muss einen Business-Plan vorlegen und wird als erstes in modernem Managerdeutsch gefragt, ob sein Geschäft B2C (business to consumer) order B2B (business to business) sei. Diesen Monat sind wir auf eine Kollektion von B2B-Musik gestossen. Es handelt sich zwar um Platten aus Vinyl aus der Zeit 1958-1961, die man aber mit 78 rpm abspielen muss. Deshalb haben wir sie in unser Schellack-Archiv aufgenommen. (Im Unterschied zu Schellack-Platten mussten Vinylplatten in Hüllen aufbewahrt werden: "Unfilled Vinyl / Keep in Bag") Was diese Musik zu B2B-Musik macht: Sie wurde nicht an Endkunden verkauft, sondern an Radio, Fernsehen, Film, ... Offenbar schwebte den Herstellern eine Verwendung als Erkennungsmelodie, als Jingle, oder als Stimmunshintergrund vor. Die Stücke sind eher kurz und alle mit einer exakten Angabe der Dauer versehen.

Das Business mit B2B-Musik floriert im für uns Endkunden Verborgenen natürlich auch heute noch. So finden wir etwa im Wikipedia-Eintrag zu Boris Blank von Yello:

He also composes and produces solo music, under the name Avant Garden, which is strictly intended for licensing to the film and TV production industry. This music is handled by Extreme Music.

Verschiedenes

Diese Playlist enthält wieder ein Sammelsurium von Sprechplatten und Kuriosem.

Bernina Nähmaschine 1932
Bernina Nähmaschine 1932

Urs Marti hat uns die Aufnahme einer Platte übermittelt, die ein Stück Industriegeschichte dokumentiert. Zum 50-jährigen Jubiläum der Firma und zum 5-jährigen Jubiläum nahm die Bernina Nähmaschinenfabrik 1937 eine Bernina-Platte auf. Wie diese im Archiv der Bernina AG gefunden wurde, leider nicht abspielbar war, und dann mit Hilfe der Sammlung von Hans Peter Woessner digitalisiert werden konnte, ist ausführlich im Blog von Matthias Flury dokumentiert. Man kann die Bernina-Hymne und die Ansprache von Herrn Brüsch jun. nun in unserem Archiv anhören.

Spenden werden dringend benötigt

Twint-Code

Die Schweizerische Stiftung Public Domain ist dringend auf Spenden angewiesen, um die Büro- und Lagermiete und das Archivmaterial (Plattenhüllen, Archivschachteln) zu bezahlen. Sämtliche Arbeit am Archiv wird ehrenamtlich geleistet. Bitte unterstützt diese Arbeit!

Im Jahr 2023 bezahlte die Stiftung für Miete von Lager und Büro 20'000 Franken. Davon sind 18'500 Franken von Stiftungsräten gespendet worden. Mein Anteil betrug 11'500 Franken. Da ich mir in Zukunft solche regelmässigen Ausgaben nicht mehr leisten kann, hat der Stiftungsrat beschlossen, das Büro auf Anfang 2025 zu kündigen, sofern kein anderer Träger für die Mietkosten gefunden werden kann. Unsere Arbeit kann dann vorläufig privat weitergeführt werden. Allerdings umständlicher und langsamer.

CD als Dank

Wer 100 Franken spendet, erhält auf Wunsch eine CD mit rund 20 selbstgewählten 20 Titeln.

Mitgliedschaft Förderverein

Wer wünscht, dass es das Schellackplatten-Archiv auch in zwei Jahren noch gibt, wird gebeten, dem Förderverein beizutreten.

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